Montag, 29. Juni 2015

Selbstinterview (3) Wurmlöcher im virtuellen Weltall

Redakteur: Müssen wir eigentlich immer Redakteur vor Redakteur schreiben, wenn ich Fragen stelle? Reicht es nicht, wenn meine Parts durch kursive Schrift markiert wird?

Herr Gedsudski: Ich bin mir nicht sicher, ob das ausreicht. Was zum Beispiel, wenn Leser dazu kommen, die dann erst ab dem nächsten Selbstinterview dazukommen? Werden die verstehen, worum es geht?

Ach ja, das geht schon. Ich bin da guter Dinge. Wir probieren das einfach mal. Jetzt aber zum Thema: Das Wurmloch, was ist das?

Das war so eine Idee, die ich gestern hatte. Könnte man nicht, so fragte ich mich laut, eine Menge Spaß haben, wenn man heutige Posts oder Tweets mit aktuellen Bezügen in der Sprache der Goethezeit schreiben würde. Das wäre doch sehr nett. Und es hülfe einem, ein bisschen tiefer in die Sprache einzutauchen. Und dann, so dachte ich mir, könnte man die ganze Sache unter dem Stichwort oder Hashtag #wurmloch fassen, so wie eine Zeit-Raum-Verschiebung irgendwie. Und idealerweise hätte man dann irgendwann ganz viele Einträge von ganz vielen Menschen mit diesem Stichwort oder Hashtag.

Wie soll das denn gehen?

Nun, zum Beispiel so:Ich schreibe in der Sprache des 19. Jahrhunderts. Außerdem, um die Sache spannender zu machen, haue ich noch ein paar Blankverse mit rein.

    
     Wir befinden uns an einem alten Schreibtisch.
     Ein Schriftleiter, nennen wir ihn Eduard,
     und Herr Gedsudski, ein polnischer Graf
     von sehr zweifelhaftem Rufe, sind ins Gespräch vertieft:

     R E D A K T E U R.
     Nun sitzen wir hier wieder beieinander,
     Ich frag' euch viel, doch ihr sagt herzlich wenig,
     so geht das alte Rollenspiel noch immer. 
     Doch spracht ihr gestern mir von einem Plan.

    H E R R  G E D S U D SK I.
    So war es wohl, ich habe mir gedacht,
    man könnt' in alter Form und Sprache schreiben,
    zu wägen wohl ein gutes Wort und nicht
    nach aktueller Sitte zu verschleudern.
    Die Themen aber sollten aktuell sein,
    so dass sich eine Diskrepanz ergäbe.
    Denn auf der einen Seite wär die Form,
    die nach der großen Meister Vorbild klänge,
    und auf der and'ren Seite die Geschichte,
    die stolz von Gegenwärtigem nur spräche.

Und so weiter. 

Na gut - so weit, so bescheuert, könnte man sagen. Was aber hat es auf sich mit diesen Gerüchten, dass über Nacht ein Post verschwunden ist, nämlich genau jenes, in dem einerseits diese Idee geboren wurde, andererseits ein zierliches Gedicht stand, das diese Idee verdeutlichen sollte.

Ich habe es gelöscht.

Was? Ist das nicht die erste, zweite und dritte Todsünde eines jeden Bloggers?!

Na ja, ich mach das ja auch nicht so oft, Einträge löschen, die schon veröffentlicht wurden. Aber mein Gedicht erschien mir auf einmal zu klein und zerbrechlich für die virtuelle Welt, deshalb habe ich es dann wieder gelöscht. Ich habe in meinen Band zu den anderen Gedichten getan, die irgendwann in meiner Werkausgabe erscheinen werden, zusammen mit all den Limericks, die hier stehen.

War es nicht vielleicht ganz anders? Haben sie am Ende etwa gar nichts gelöscht, sondern ist der Eintrag, samt der blöden Idee und des zerbrechlichen Gedichts, vielleicht in ein Wurmloch geraten und kurvt jetzt hilflos durch das späte 18. Jahrhundert auf der verzweifelten Suche nach einem Internet, das es natürlich nicht gibt. Aber es gibt  da diesen jungen, talentierten Schreiber, Goethe, und der erfindet einen Teufel, der zusammen mit einem Gelehrten das Internet erfindet. Und er erste Eintrag kommt aus der Zukunft, ein kleines, zerbrechliches Gedicht, das unterdessen nur noch ein wenig umgemodelt werden muss, damit es zu Goethes "An Luna" wird.

Oder so. Ich glaube aber, lieber Herr Redakteur, Sie sind dringend des Schlafes bedürftig. Und ich im Übrigen auch.

Kriegt man da was zu trinken?

Wo?

Im Übrigen.

Jetzt ist aber gut!

(Beide gehen ab.)

 

Keine Kommentare: