Mittwoch, 14. Dezember 2005

Sinnkrise mit Phil Collins

Morgens klingelt der Wecker immer recht früh. Zu dieser Jahreszeit ist es noch sehr dunkel, wenn ich mir den Beischlaf aus den Augen reibe (eins meiner liebsten Tucholsky-Zitate übrigens, damit kein Neid aufkommt!) und meinen Hartz-IV-Empfänger einschalte, um mir berichten zu lassen, was es an Neuigkeiten gibt in der Welt. Die Neuigkeiten aber müssen warten, denn jetzt singt erst einmal Phil Collins, und das ist natürlich wichtiger als die Nachrichten des Tages. Mit vollstem Verständnis gieße ich Wasser in meine altmodische Filterkaffeemaschine, ziehe einen zerknitterten Papierfilter aus der Schublade und befülle ihn mit Markenkaffee – kein italienisches Lebensgefühl in Form hochdruckpressender und schaumschlagender Maschinen: soviel Realitätssinn muss sein!

Die Kaffeemaschine röchelt lautstark, so dass der Empfänger keine Chance hat mitzuhalten, und wieder bekomme ich nicht mit, was die Welt Neues erlebt hat, seit ich gestern Abend mein müdes Haupt auf die Kissen legte, in denen es übrigens wimmelt von in monarchistischen Staaten organisierten Kleinstlebewesen. Immer wenn ich mich hinlege, habe ich diese Stern-Reportage im Kopf: „Hausstaubmilben greifen an“. Das zermürbt schon ganz schön. Wenn der Artikel noch ein oder zwei Wochen bei mir nachwirkt, sitze ich bei der nächsten Butterfahrt nach Kitzbühl ganz vorne im Bus, um bei der eingeschobenen Verkaufsveranstaltung mikrobakteriell einwandfreie Kopfkissen und Bettdecken zu erstehen.

Als ich aus dem Haus gehe, stelle ich fest, dass man dieses Jahr die Weihnachtsbeleuchtung eklatant abgerüstet hat. Das Schwarz der neuen Koalition lauert in allen Fenstern – außer den türkischen in meiner Hood, wo es leuchtet, als wäre das feine Wort Energiekrise unübersetzbar. Der Dezember wirkt wie ein verschärfter November, und fast schafft Morrissey es, in meinem Kopf den Kampf gegen Phil Collins zu gewinnen. Aber doch eben nur fast. Denn der alte Phil – so schlecht wie er singt übrigens niemand Deutsch, selbst Nana Mouskuri nicht (mal eben das Fanny-van Dannen-Cover geholt, um zu kucken, wie man die schreibt). Und wer’s nicht glaubt, der schaue sich die deutsche Version des Disney-Tarzans an. Und höre vor allem!

Eins jedenfalls ist sicher: Das Wort Sinnkrise lässt sich nicht ins Collinsche übersetzen. Und jetzt spielen wir etwas von Phil Collins.

Der Stubenhocker wünscht jedenfalls schon einmal ein grandioses neues Jahr! Glaubt mir: Es wird besser werden!


Freitag, 9. Dezember 2005

In Europa war es ja der 9. Dezember 1980. Morgens spielten sie einen ekeligen Elton-John-Song im Radio: "Song for a Guy". In der Schule dann betretenes Schweigen. Ein paar Tage später richteten wir eine Lennon-Wand ein: Jemand aus der Klasse hatte eine große Schwester, die bei der Zeitung arbeitete. Sie besorgte uns das Telefax der Nachrichtenagenur:
... lennon vor seinem haus angeschossen ...
... lennon stirbt an seinen schussverletzungen ...
usw. Der ekelhafte Bryan Ferry maßte sich an "Jealous Guy" zu verhunzen. Überhaupt wurde Lennon auf einmal Allgemeingut. Plötzlich lobte sogar die Ostpresse den "standhaften Anti-Vietnam-Kämpfer". Eine ernsthafte Beschäftigung mit der Musik Lennons wurde schwierig nach dem 8. bzw. 9. Dezember 1980.

Zur Vertiefung des Themas empfehle ich übrigens den netten kleinen Film Paul is Dead (D 2000). Hier wird auch geklärt, wer Lennon wirklich auf dem Gewissen hat. Und dass Paul bereits seit 1966 tot war, wussten wir ja ohnehin!