Nun bin ich ja manchmal durchaus auch Naturfreund. So zum Beispiel gestern, als ich mich auf eine Wanderung begab, um das Sauerland näher kennenzulernen. Bislang kannte ich vor allem die Sauerländerinnen. Auch habe ich, damals stand ich in meiner Maienjugendblüte, einmal nahezu eine Alkoholvergiftung erlitten, als ich eine Party im Sauerland musikalisch zu beschallen versucht hatte, denn der Westfale an sich gehört zu der eher trinkfesten Sorte Mensch. Und er singt nicht!
Die Leute also kannte ich. Jetzt hatte ich aufs Land abgesehen. So nahm ich mir einen Rucksack, füllte ihn mit Käsebroten, nahm eine Flasche Orangesaft mit, ein Taschenmesser – und fragte, die ich in solchen Fällen immer frage, ob sie mit mir kommt: Meine Wanderbegleiterin. Meine Wanderbegleiterin hatte zwar einen schlimmen Schnupfen, aber sonst nichts anderes vor an diesem Sonntag, und so kam sie mit mir mit. (Ich liebe das: Mit mir mit, so was sagt ja heute keiner mehr. Aber wie naturverbunden klingt das!)
Wir fuhren mit der Bahn in irgendein sauerländisches Städtchen mit Gleisanschluss. Um für ein wenig Verständnis für das nun folgende aufzubringen, sollten Sie vielleicht wissen, dass ich gerade einmal drei Stunden geschlafen hatte. Hatte ich doch eine wilde Party hinter mir, von der ich um 6:30 Uhr einigermaßen erschöpft zurückgekehrt war.
Nach unserer Ankunft fielen wir erst einmal aus dem Zug und dann über die Käsebrote her. Die Luftveränderung forderte ihren Tribut. Bei meinem Großvater forderte sie noch Skorbut, aber das ist eine andere Geschichte, und vielleicht erzähle ich die später mal. Jetzt aßen wir Käsebrote, und dann begaben wir uns in die sauerländische Schneehölle. Gut, nicht zu vergleichen mit Niederbayern, aber für mich, der ich Schnee eher vorn Partys als vom Rodeln her kenne – ich wohne unweit des Rheins -, schon recht ehrfurchtgebietend.
Leider hatte ich keine Karte mit oder irgendwas anderes, was für die Orientierung hilfreich gewesen wäre: GPS; Galileo, guten Orientierungssinn. Also verliefen wir uns erst einmal im Industriegebiet des kleinen Örtchens. Man denkt ja immer: wenn, dann liegt die Produktivität unseres Landes in den Städten: Dortmund fällt einem da ein, Duisburg und so, Herz aus Stahl. Aber nichts: Der deutsche Wohlstand (bzw. sein Rest) kommt vom Lande. Als ich mit meiner Begleiterin auf öligem Grunde stehend zwischen rostenden Transportkästen stand, der schmelzende Schnee spielte eine lustige Einstürzende-Neubauten-Melodie auf den Kränen, fiel mich diese Erkenntnis geradezu an.
Wahrscheinlich muss ich nicht erwähnen, dass meine Begleiterin ihre Laune erst einmal deutlich herunterfuhr. Einen Industrielehrpfad hatte sie sich nicht gewünscht, da hätte sie doch lieber weiter Die Sendung mit der Maus gekuckt, oder vielleicht Willy will’s wissen.
Als Friedensangebot rückte ich kampflos das letzte Käsebrot heraus, bevor wir den Rückmarsch zum Bahnhof antraten.
Des Ortes Kern war toter noch als jene Sonntagnachmittage in meiner Kindheitserinnerung, die ich bei Tante X und Onkel Y verbringen musste. Ereignislosigkeit ist viel zu aufregend, um diesen Zustand zu bezeichnen. So beschlossen wir, geleitet nur vom Anblick einer verschneiten Koppe, die mich an die Schneekoppe-Werbung aus den 70ern erinnerte, uns am Ortsausgang querfeldein zu bewegen, und das war eine richtige Entscheidung. Zwar war ich, nachdem wir etwa 300 Meter Höhenunterschied hinter uns (bzw. unter uns) gebracht hatten, vollkommen am Ende, aber wir wurden belohnt mit einer so romantischen Winterlandschaft, wie man sie nicht beschreien kann, ohne kitschig zu werden. Meine Begleiterin tollte im Schnee umher, deckte mich mit Schneebällen ein und wälzte sich ausgelassen in der weißen Pracht. Ich genoss, Adalbert Stifter gleich, ruhig schauend die Szene und freute mich.
Zwar könnte ich jetzt noch von der elendig langen Rückfahrt berichten, oder davon, dass es nie gut ist, nicht wenigstens ein Käsebrot zurückzubehalten, aber das führte zu weit. Nur des Sauerlands Lob möchte singen, denn: Westphalia non cantat, und einer muss es ja tun.
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