Samstag, 18. November 2006

Humboldts Vermächtnis

Nachdem es nun von Platz 1 der Spiegelbestsellerliste verdrängt worden war, habe ich es mir dann auch mal gekauft. Inzwischen ist der Verlag bei der 31. Auflage angekommen, und Kehlmann kann, wenn er will, wohl in Rente gehen.

Massentaugliches bewirkt bei mir ja immer eine gewisse Skepsis, zumindest in künstlerischen Dingen. (Anderswo sieht das natürlich ganz anders aus!) Aber schon nach den ersten Seiten war mir klar:

Das Buch ist trotzdem gut. Es macht großen Spaß, darin zu lesen.

Kehlmann geht souverän mit Sprache um. Ästhetisch nicht unbedingt am Maximum, aber auf jeden Fall immer sehr souverän.

Er erzählt eine komische Geschichte (und nicht etwa nur mit Humor, liebe Schwafel-Rezensenten). Mehrmals habe ich im Zug, denn dort fand meine Lektüre statt, zur Verwunderung mehrerer nicht mp3-verstöpselter Mitreisender laut gelacht.

Das Buch erweckt Mitleid. Die Figuren sind trotz all ihrer Beschränktheiten unglaublich sympathisch. Man versteht sie, fühlt mit ihnen.

Es ist ein gleichzeitig zutiefst deutsches (Inhalt) und undeutsches (Form) Buch, was offenbar gut zusammenpasst.

Es ist ein Roman, den geschrieben zu haben ich durchaus glücklich wäre, nicht nur der Verkaufszahlen wegen, sondern weil es sich um einen rundweg gelungenen Roman handelt. Zwar ist vieles der Geschichte auch ein bisschen wie Zuckerwatte, die beim Genuss zu einem süßen Nichts zerfällt. Aber nicht alles ist so. Es bleibt durchaus auch Substanz zurück.

Meine persönliche Lieblingsstelle ist die, an der Humboldt "Wanderers Nachtlied" frei ins Spanische übersetzt vorträgt. Bisher habe ich noch keine charmantere Art erlebt, ein Gedicht zu zerstören. Und die Reaktion des Publikums ist exquisit.

Von mir aus darf Kehlmann also ruhig noch ein paar Exemplare verkaufen. Und während er das tut frage ich mich, ob ich „Wanderers Nachtlied“ jemals wieder unbefangen werde hören oder lesen können.

Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt. Reibeck bei Hamburg: Rowohlt, 31. Aufl. 2006.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Blogger Karlheinz Mosblech said...

Dass das deutsche Rezensionswesen Humor und Komik zu unterscheiden vermag oder gar die verschiedenen Formen letzterer, werden Sie und ich nicht mehr erleben.

Aber was den Ruhestand angeht – da überschätzen Sie die Zahlungswilligkeit deutscher Verlage. 31. Auflage, das sind großzügig geschätzt eine halbe Million Exemplare. Wenn er einen guten Vertrag hat, bekommt Kehlmann 10% vom Nettoladenverkaufspreis. Wenn er die versteuert hat, bleibt ihm vielleicht eine halbe Million Euronen. Das reicht, um in den nächsten zehn Jahren nicht bei Zeitungsredaktionen ums Artikelschreibendürfen betteln zu müssen.

Für die Rente wäre interessanter, was Rowohlt aus den Nebenrechten herausschinden kann.
11:29 AM

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